Konzert
"Lebenstanz " (Mai 2003)
Zeit
zum Fühlen und Erleben
"Das blaue Einhorn" im meisterhaften "Lebenstanz" im Vier Linden HILDESHEIM.
Nanu, auf der Bühne des Vier Linden stehen überhaupt keine Mikrofone. Dabei
hantieren doch die vier Dresdener vom "Blauen Einhorn" mit so sensiblem
Material wie Geige, Akkordeon und menschlischer Stimme. Tatsächlich: Ohne
elektrische Verstärkung füllen sie klangvoll den Saal. Und nehmen das Publikum
mit in die poetischen Gefühls- und Klangwelten aus den reichen Lied-Überlieferungen
von Portugal bis Russland. Ohne Strom, so wurde früher auch musiziert. Und
in heutigen Megawattzeiten hat das einen besonderen Charme und Zauber. Das
"Einhorn" schafft intime Direktheit, die unbedingt anzieht. "Lebenstanz"
heißt das Motto. "Lieder und Tänze zwischen Hinken und Fliegen". Und da
schöpfen sie aus dem Vollen. Musikalisch sowieso. Jeder für sich ein gestandener
Musiker, erreichen sie im Zusammenspiel Meisterliches. Großartig, wie sie
die wirbelnden Tänze und dramatischen Liebesklagen hochjagen, ausbremsen,
nur um es noch turbulenter und virtuoser weiterzutreiben. Sänger und Akkordeonist
Paul Hoorn beweist große Form. Wie er in Jaques Breis "L'Ivrogne" mit dem
trinkenden Liebhaber leidet, der in einer Stunde abgebreitet und damit endlich
ohne Zorn, ohne Leidenschaft und ohne Hoffnung sein wird. Wie er mit "Rebbe
Elimelech" das Ende des Sabbats in einer zünftigen Klezmerfeier begeht,
samt "Kapelye mit Fideln, Tsimbeln und Poiklern". Hoorn fasziniert sein
Publikum. Strahlende Augen, immer eine Spur Wehmut und eine Stimme von spröder
Rauheit bis zu süßlichen, fast kitschigem Schmelz. Das gelingt auch deshalb
so gut, weil das Geschehen endlos gekonnt in die Musik eingebettet ist.
Man sollte glauben, dass eine rein akustische Band die Instrumente verprügeln
muss, damit man überhaupt etwas hört. Doch ganz anders beim "Einhorn". Bei
ihrer Version von Theodorakis' "Tanzbär" etwa stehen saubere Pizzikati neben
schwungvollen Melodien in der Strophe und Momenten der Stille. Das Ohr wird
nicht missbraucht, sondern gelockt. Dietrich Zöllner hat sich als gelernter
Cellist die Geige um den Bauch gebunden. Mit Hoorn, der auch gerne mal zur
gedämpften Trompete und zum Chalumeau einer Flötenklarinette greift, spielt
er sich virtuos die Melodien zu. Michael "Schnorke" Burckard unterfüttert
sie mal lyrisch, 'mal wuppig am Kontrabass. Gitarrist Andi Zöllner stimmt
mit ein in den sensiblen vierstimmigen Satzgesang. Das Kind wird in "Di
goldene Pawe" sanft in den Schlaf gewiegt. Die "Einhörner" sind auch inhaltlich
Meister im Brückenbauen. Paul Hoorn übersetzt aus dem Italienischen, Rumänischen,
Französischen und flicht deutsche Textpassagen in die Lieder ein. Wäre er
ein Tangotänzer, frau könnte sich getrost seiner Führung überlassen. Und
so gelingt das ergreifende "Lob der Verrücktheit des Versuchs einer beginnenden
Liebe" angelehnt an Tango von Piazzolla und Gedanken von Ferrer. Zeit zum
Fühlen und Erleben. Eine gute Entscheidung, zu diesem Konzert gegangen zu
sein.
fx Hildesheim, 5/2003
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