"O seltsam Gemeinschaft des Tags mit der Nacht"

Weihnachtsprogramm in 2005 in Dresden

"Die Schatten der Maria"

Katja Langnäse und Das Blaue Einhorn im Societaetstheater

Oh seltsam Gemeinschaft des Tags mit der Nacht" ist nicht nur die Zeile aus einem alten Weihnachtslied nach Nikolaus    Herrmann (1480-1561), sondern auch der Titel eines durchaus unkonventionellen weihnachtlichen Abends im Societaetstheater, der sich mit Variationen zu den Bildern des Liedes auseinandersetzt. Angeordnet um die ebenso im Lied zentrale Figur der Jungfrau Maria, kleiden die Musiker des Blauen Einhorns und die Schauspielerin Katja Langnäse die unterschiedlichsten Beleuchtungen der Thematik in ein verspielt gewobenes Gewand. „Wir wünschen uns, nicht nur den Zipfel des Gewandes der Madonna zu erhaschen, sondern auch den Schatten Marias zu treffen, den sie manchmal auf die so karge Erde wirft" (Paul Hoorn, Gesang, Akkordeon, Trompete u.a.). Beide Teile des Abends sind jeweils noch einmal dreifach unterteilt: Alles beginnt mit einem Blick auf die Unschuld der Mutter Gottes, auf die Unschuld von Kindern. Katja Langnäse hantiert im weißen Hemde mit einer Puppe, Gesten des Gebets, der Ergebenheit andeutend. Für sehr irdisch orientierte Zuschauer womöglich schon eine kleine Probe.

Der zweite Abschnitt hingegen mag dem einen oder anderen Frommen etwas zu schaffen machen - die Künstler zeigen die verlorene Maria, die Verlassene im Hafen, die vergessene Dirne auf der Reeperbahn, die im schwankenden Gesang auf das Erscheinen des Weihnachtsmanns hofft, mit freundlicher Unterstützung von Georg Kreisler. Man schwenkt tiefer in die Nacht hinein, mit einem gleichnamigen Jiddischen Lied aus dem Wilnaer Ghetto, und spätestens bei der „Ballade vom ertrunkenen Mädchen" (Brecht/Weill) wird die „seltsam Gemeinschaft des Tags mit der Nacht / der Licht in die Finsternis uns hat gebracht" noch aus einer ganz ungewohnten Perspektive beobachtet. Während Katja Langnäse mit einem kleinen Fundus an Kleidungsstücken zwischen Mutterfigur, Madonna, unschuldigem Kind und gefallenem Engel beständig die Rolle wechseln muss, zehren die Musiker von der ganzen Bandbreite an musikalischen Möglichkeiten, die das Blaue Einhorn auf seinem Rücken herbeizutragen weiß. Sie geht vom weihnachtlichen Choral über das Seemannslied bis hin zum Led-Zeppelin-Klassiker „Stairway to heaven", der den ersten Teil mit einer Art hippieskem Ausdruckstanz und der Geburt von bunten Tüchern recht tosend beschließt. Gitarrist Andreas Zöllner scheint während der Soli ganz in seinem Element.

Nach einer Pause widmet sich das Variationenprogramm vor allem dem Neugeborenen: Christus. Und auch hier eröffnen sich spannende und völlig vorbehaltlos aneinander gereihte Facetten, angefangen bei einer oberösterreichischen Bauernlegende über einen kräftigen Gospel („Christ is born") bis hin zum brasilianischen Marienlied. Weihnachten vordergründig global, hintersinnig universell, mutig und vielfältig allemal.      

Norbert Seidel, DNN Weihnachten 2005

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